Hölderlin Virus

Hölderlin Virus I

Hälfte des Lebens

 

Mit gelben Birnen hänget

Und voll mit wilden Rosen

Das Land in den See,

Ihr holden Schwäne,

Und trunken von Küssen

Tunkt ihr das Haupt

Ins heilignüchterne Wasser.

 

Weh mir, wo nehm‘ ich, wenn

Es Winter ist, die Blumen, und wo

Den Sonnenschein,

Und Schatten der Erde?

Sprachlos und kalt, im Winde

Klirren die Fahnen.

Hölderlin Virus IV

Es kann nichts wachsen und nichts so tief vergehen,                                                              

wie der Mensch. Mit der Nacht des Abgrunds

vergleicht er oft sein Leiden und mit dem Äther

seine Seligkeit, und wie wenig ist dadurch gesagt.

Aber schöner ist nichts, als wenn es nach langem

Tode wieder in ihm dämmert, und der Schmerz,

wie ein Bruder, der fernher dämmernden Freude

entgegengeht.

 

(Hölderlin Hyperion)

Hölderlin Virus VII

Alles prüfe der Mensch,

sagen die Himmlischen,

Daß er, kräftig genährt

danken für Alles lern‘,

Und verstehe die Freiheit.

Aufzubrechen,

wohin er will.

 

(Hölderlin Lebenslauf)

Hölderlin Virus II

Schicksallos, wie der schlafende

Säugling, atmen die Himmlischen,

Keusch bewahrt

In bescheidener Knospe,

Blühet ewig

Ihnen der Geist,

Und die seligen Augen

Blicken in stiller

Ewiger Klarheit.

 

Doch uns ist gegeben,

Auf keiner Stätte zu ruhn,

Es schwinden, es fallen

Die leidenden Menschen

Blindlings von einer

Stunde zur andern,

Wie Wasser von Klippe

Zu Klippe geworfen,

Jahr lang ins Ungewisse hinab.

 

Hölderlin Hyperions Schicksalslied

Hölderlin Virus V

Leichtatmende Lüfte

Verkünden euch schon,

Euch kündet das rauchende Tal

Und der Boden, der

vom Wetter noch dröhnet

Doch Hoffnung rötet die Wangen,

Und vor der Türe des Hauses

Sitzt Mutter und Kind,

Und schauet den Frieden

Und wenige scheinen zu sterben

Es hält ein Ahnen die Seele,

Vom goldenen Lichte gesendet,

Hält ein Versprechen die Ältesten auf

 

(Hölderlin Friedensfeier)

Hölderlin Virus VIII

Was ist’s denn, daß der Mensch so viel will, fragt‘

ich oft; was soll denn die Unendlichkeit in seiner

Brust? Unendlichkeit? Wo ist sie denn? Wer hat

sie denn vernommen? Mehr will er, als er kann!

Das möchte wahr sein!

 

(Hölderlin Hyperion)

Hölderlin Virus III

Es ist ein hartes Wort und dennoch sag ich’s, weil

es Wahrheit ist: ich kann kein Volk mir denken, das

zerrißner wäre, wie die Deutschen. Handwerker

siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine

Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn

und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine

Menschen – ist das nicht wie ein Schlachtfeld, wo

Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt unter-

einander liegen, indessen das vergoßne Lebensblut

im Sande zerrinnt?


(Hölderlin Hyperion)

Hölderlin Virus VI

In deinen Tälern wachte mein Herz mir auf

Zum Leben, deine Wellen umspielten mich,

Und all der holden Hügel,

die dich

Wanderer kennen,

ist keiner fremd mir.

 

(Hölderlin Der Neckar)