Interviews

Ein „Dschungelbuch“ für die Gegenwart

Akram Khans Tanztheater-Publikumshit kommt am 6./7. Juli zu den Ludwigsburger Festspielen 

 

Ludwigsburg / San Francisco. Schon mehrfach war der britische Tänzer und Choreograph Akram Khan zu Gast im Ludwigsburger Forum, zuletzt 2015 bei den Schlossfestspielen im Duo mit dem Flamenco-Artisten Israel Galván mit dem Tanzstück „Torobaka“. Nun tanzt seine Kompanie beim Ludwigsburg Festival am 6. und 7. Juli Akram Khans „Jungle Book reimagined“: der Kinderbuch- und Disney-Klassiker als Multimedia-Tanztheater im Zeitalter von Klimawandel und Umweltkatastrophen. Wir erreichten Akram Khan beim Video-Gespräch in San Francisco.

 

Mr. Khan, lassen Sie uns zuerst über den Titel Ihres Stücks nach den Erzählungen des britischen Schriftstellers Rudyard Kipling sprechen: „Jungle Book reimagined“ – was ist darunter zu verstehen?

 

Als Originaltitel hatte ich zuerst an „Jungle Book inspired by Kipling“ gedacht. Ich kenne das Buch seit meiner Kindheit, schon mit zehn Jahren spielte ich Mowgli in einer Tanzproduktion. Die Geschichte des indischen Jungen, der im Urwald in einer Wolfsfamilie aufwächst und von 

weisen Tieren wie dem Panther Bagheera, dem Bären Baloo und der Schlange Kaa in die Gesetze der Natur und die Verantwortung gegenüber dem Leben eingeweiht wird, habe ich in unsere heutige Zeit übertragen. Es ist für mich immer wichtig, bei meinen Stücken eine eigene Perspektive zu entwickeln; daher trifft Mowgli als Überlebende einer Klimakatastrophe in einer menschenleeren überfluteten Stadt auf wilde Tiere, mit denen sie sich im Kampf ums Überleben verbündet. 

 

Wie sieht dann dieser heutige Dschungel aus?

 

Wir leben in einer gefährlichen Zeit, in der nicht nur die Menschheit, sondern alle Arten von Leben auf unserem Planeten bedroht sind. Die Hauptursache all dieser Probleme ist, dass wir unsere natürliche Verbindung zu unserer Heimat, unserem Planeten vergessen haben. Wir haben die Achtung vor unseren Lebensgrundlagen verloren. In Kiplings „Jungle Book“ gibt es schon das Element der Bedrohung der Natur durch den Menschen. Wir zeigen Mowglis Reise durch die Augen eines Mädchens, das in einer von den Auswirkungen des Klimawandels verwüsteten Welt gefangen ist. 

 

Ich habe gelesen, dass bei Ihrer Arbeit an der Konzeption des „Jungle Book reimagined“ in London während der Corona-Pandemie Ihre achtjährige Tochter öfters dabei war. Hatte das einen Einfluss darauf, wie Sie die Geschichte erzählen?

 

Sie hörte zu, wenn ich oben in meinem Büro daran arbeitete und Dinge besprach. Sie war ganz neugierig, und es interessierte mich sehr, was sie darüber dachte und fühlte. Einmal fragte sie mich, warum Mowgli ein Junge sei, und schließlich wurde sie in meinem Stück ein Mädchen in Südostasien. Und wenn ich darüber sprach, was sich ändern müsse in unserer Welt, sagte sie: Aber du selber änderst dich gar nicht! Daraus ergab sich die Frage, was wir ändern könnten, damit wir weniger zur Zerstörung unseres Planeten beitragen, wenn wir mit unserer Produktion auf Tournee gehen. So arbeiten wir statt aufwendiger Bühnenbilder mit Kartons und Animation auf der Bühne. 

 

 

Es gibt nur zwei menschliche Figuren auf der Bühne: Mowgli und den Jäger, er verkörpert das Böse wie der Tiger Shir Khan bei Kipling. Alle anderen Charaktere sind Tiere. Wie haben Sie deren Körpersprache und Tanzstil entwickelt?

 

Das war ein langer Prozess, vieles hat sich da auch in den Proben entwickelt, wo die Tänzer ihre eigenen Ideen einbrachten. Sie imitieren nicht die Bewegung von Wölfen, Bären, Panthern, Schlangen oder Affen. Es geht mehr um die Beziehung von Mowgli zu den einzelnen Gruppen, auch die Video-Animation spielt eine Rolle, und es ist wichtig, dass wir einen Weg gefunden haben, das choreographisch effektvoll darzustellen.

 

Sie sind berühmt für die Verwendung des indischen Kathak in Ihren Choreographien. Ist das auch ein Element in Ihrem „Jungle Book reimagined“?

 

Kathak spielt in jedem meiner Stücke eine Rolle, aber meistens nicht als direkte Kopie des klassischen indischen Tanzes. Kathak erzählt Geschichten, mit viel Gestik, es geht nie nur um abstrakte Bewegungen. Ich verwende ihn in meinen Choreographien wie eine Erinnerung. Eine andere wichtige Inspiration ist für mich der große britische Regisseur Peter Brook, seit ich mit 17 Jahren das erste Mal eine seiner Inszenierungen in London sah. Brook und meine Mutter waren die beiden wichtigsten Menschen für mich: Sie war eine Mythensammlerin, sie fütterte mich mit uralten griechischen, afrikanischen und orientalischen Geschichten, die ich viele Jahre lang verdaute.

 

Für das Publikum Ihres „Jungle Book“ wünschen Sie sich am liebsten ganze Familien und Besucher aller Altersgruppen. Aber könnte es nicht sein, dass Kinder von den dunklen Aspekten des Stücks beunruhigt oder schockiert werden?

 

Natürlich gibt es auch gewalttätige Momente und dunkle Elemente im Stück. Aber die gibt es ja auch schon in Kiplings „Jungle Book“, und bei der Geschichte soll ja auch nichts verniedlicht werden. Auch Märchen können ganz schön grausam sein. Kinder haben einen untrüglichen Sinn für das, was wahrhaftig ist, und sie reagieren viel direkter auf Emotionen. Kinder vertrauen ihren Gefühlen mehr als wir Erwachsene.

 

7. Juni 2024

 

 

 

 

Meine Geige ist das Instrument, um Gefühle auszudrücken

Diana Tishchenko ist die Solistin in Beethovens Violinkonzert bei der Festspiel-Ouvertüre

 

Sie ist in dieser Saison der „Rising Star“ der European Concerthall Organisation: die ukrainische Geigerin Diana Tishchenko gehört nicht erst seit ihrem 1. Preis beim Pariser Long-Thibaud-Crespin-Wettbwerb 2018 zu den interessantesten Violin-Solistinnen ihrer Generation. Wir trafen Sie zum LKZ-Interview.

 

Diana Tishchenko, in den nächsten Wochen spielen Sie Johann Sebastian Bachs Solo-Partiten im Wiener Konzerthaus, ein Beethoven-Schubert-Mendonza-Recital in Paris, mit Ravel und Chausson sind sie im Gulbenkian-Auditorio in Lissabon und im polnischen Kattowitz. Und zur Eröffnung der Ludwigsburger Schlossfestspiele am 11. Mai treten Sie mit dem Festspielorchester mit dem Beethoven-Violinkonzert auf. Wie fühlt man sich als „Rising Star“ in der Welt der klassischen Musik?

 

Ich versuche, in diese Rolle etwas Neues einzubringen. Ich möchte soviel Emotion wie möglich in diesen fünfzehn Konzerten zum Ausdruck bringen, die mit meinem ECHO-Rising Star verbunden sind.  Nicht nur, wie ich Geige spiele, sondern auch bezogen auf die Städte, in denen ich musiziere in solchen berühmten Konzerthallen wie dem Londoner Barbican, dem Concertgebouw in Amsterdam, der Elbphilharmonie in Hamburg oder dem Athener Megaron, wo ich seit Oktober letzten Jahres aufgetreten bin. Deshalb wechsle ich die Programme sehr schnell und versuche sie auf das Publikum in den verschiedenen Ländern abzustimmen. Auch die Wahrnehmung der Zuhörer auf mich als Künstlerin möchte ich anregen: als Frau, als Solo-Violinistin, als sehr konzentrierte, sehr intime Musikerin.

 

Wie wurden Sie Geigerin?

 

Es begann mit meiner Tante, sie ist selbst Geigerin. Aber um es bis zur international anerkannten Solistin zu bringen, war es ein langer Weg von meiner Kindheit auf der Krim, von Simferopol zu meinem Studium in Kiew und danach an der Berliner Hanns-Eisler-Musikhochschule, wo ich dann auch Konzertmeisterin des Gustav-Mahler-Jugendorchesters wurde, bevor ich meine Solo-Karriere begann.

 

Auf Ihrer Homepage nennen Sie einige Musikerpersönlichkeiten, denen Sie einiges an Können und Inspiration verdanken, darunter Ihren Landsmann Boris Kushniv, den Cellisten Steven Isserlis oder den Pianisten András Schiff. Was haben Sie von ihnen gelernt?

 

Die größte Inspiration verdanke ich den Kammermusikkursen bei Rita Wagner und Ferenc Rados. Boris Kushniv war einer meiner Lehrer, und seine Methode hat mich sehr geprägt. Seitdem betrachte ich meine Geige vor allem als Instrument, als Werkzeug um meine Gedanken und Gefühle in Musik auszudrücken.

 

War Ihre Position als Konzertmeisterin des Gustav-Mahler-Jugendorchesters ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Solistin?

 

Natürlich sind das zwei grundverschiedene Rollen. Aber es war sehr lohnend, damals vor zehn Jahren ein breites Repertoire kennenzulernen, auch was die Klangfarben angeht. Ich wollte mich jedoch individuell ausdrücken, also ging ich ins Risiko. Und als Solistin, oder auch in der Kammermusik, kann ich mich als Person wirklich öffnen, meine Gefühle einbringen. Hinzu kommt eine größere Unabhängigkeit.

 

Haben Sie das D-Dur-Violinkonzert von Beethoven schon öfters aufgeführt, und was verbinden Sie damit?

 

Ja, in China und auch in Frankreich. Für mich bedeutet es Erhabenheit, Reinheit, es hat eine magische Ausstrahlung. Ich sehe da in David Oistrach ein großes Vorbild, wie er es interpretiert: sein Ton, seine Phrasierung, sehr werktreu und eng verbunden mit dem Geist des Komponisten.

 

Letztes Jahr konnte Oksana Lyniv als ukrainische Dirigentin die „Pathétique“ des russischen Komponisten Tschaikowsky nicht aufführen, diesmal steht das Werk zusammen mit Beethoven auf dem Programm des Eröffnungskonzerts. Wie fühlen Sie sich, als ukrainische Solistin, nach einem Jahr russischem Krieg in der Ukraine, in diesem Kontext?

 

Ich lehne solche Diskriminierung völlig ab, ich habe damals auch Oksana geschrieben, dass ich diesen Druck von ukrainischer Seite absolut unfair fand. Kultur ist unsere einzige Möglichkeit, zusammenzukommen. Worauf es ankommt, ist der Wert eines Kunstwerks, und da ist Tschaikowskys „Pathétique“ ein Juwel. Außerdem sehe ich mich nicht in erster Linie als ukrainische Musikerin. Ich habe die Hälfte meines Lebens in Deutschland verbracht, ich habe auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Aber natürlich sind meine Wurzeln in der Ukraine.